Hans-Joachim Koenen
Gelsenkirchen Hauptbahnhof
170 Jahre das Tor zur Welt
Ein Lesebuch

Beinahe die gesamte Bevölkerung Gelsenkirchens hatte sich versammelt, als unter tosendem Applaus das fauchende Dampfross in den Bahnhof stampfte. Die neue Zeit war angebrochen.

Man schrieb das Jahr 1847 als die Cöln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft die erste Bahnlinie durch das Ruhrgebiet eröffnete. Gelsenkirchen hatte nun ein Tor zur weiten Welt.

Zum 170. Jubiläum dieses für die Entwicklung der Stadt so wichtigen Ereignisses hat der Heimatbund Gelsenkirchen ein Lesebuch rund um den Bahnhof veröffentlicht.


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Romantik pur: Der alte Bahnhof bei Mondschein.
[Sammlung Volker Bruckmann]

Heimatforscher Hans-Joachim Koenen hat zwei Dutzend Texte aus Sachbüchern, Romanen, Zeitungsarchiven u.v.a. zusammengestellt.

Ein Platz für Romanzen

Das mit mehr als 70 alten Ansichten bebilderte „Lesebuch“ erzählt u.a. von Berg- und Kriegsschäden, Aus- und Neubau, von dem „unsichtbaren Mann“ im Stellwerk, dem edlen Speisesaal für gut betuchte Bürger in der I. und II. Klasse und den noblen Logen im „Bali“-Kino. Eine kurze Liebesgeschichte von Roman Dell bezeugt schließlich, dass der Bahnhof auch ein Platz für Romanzen sein kann.


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Das edle Speisesaal der I. und II. Klasse im Bahnhof von 1904.
[Sammlung Volker Bruckmann]

Startschuss des rasanten Wachstums

1847 zählte das vollkommen unbedeutende Dorf Gelsenkirchen kaum mehr als 500 Seelen und gehörte noch zu Wattenscheid. Da die Eisenbahngesellschaft sich weigerte, einen Bahnhof an einem so unbekannten Ort zu errichten, musste der Gemeinderat die Baukosten aufbringen. Die (damals wie heute!) klamme Kasse reichte nicht für eine Güterabfertigung, so diente der kleine Holzschuppen ausschließlich dem Personenverkehr.

Es war jedoch der Startschuss eines rasanten Wachstums. In den darauffolgenden Jahren entstanden in direkter Nähe die Zechen Hibernia und Alma sowie die Hochöfen des Schalker Vereins und das Gussstahlwerk. Gelsenkirchens Zukunft als Bergbau- und Industriestadt war besiegelt.

„all die siechten Lüe“

Gelsenkirchen ein wichtiger Knotenpunkt für Fernzüge nach Hamburg und Berlin? „Nää, wi wöllt den groten Bahnoff nich hebben!“ war die unmissverständliche Antwort des ersten Bürgermeisters, F. W. Vattmann. „Dann kumm all die siechten Lüe“, protestierte er. „Die wöllt wi nich.“

Kathedrale des Dampfzeitalters

Das erste Empfangsgebäude war kaum mehr als eine „Bretterbude“. Ein massives Stationsgebäude wurde erst am Freitag, 1. April 1859 in Betrieb genommen. Im Gründungsjahr des FC Schalke 04 bekam Gelsenkirchen endlich einen Hauptbahnhof passend zu ihrem Status als Großstadt. Es war einer der schönsten Bahnhöfe von ganz Deutschland, ein majestätischer Bau mit Portal im Kathedral-Stil.


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Das prächtige Jugendstil-Empfangsgebäude des Hauptbahnhofs Gelsenkirchen, eröffnet am 29. September 1904, zählte als einer der schönsten Bahnhöfe Deutschlands.

So nobel kann’s im Bahnhof sein

Das Wirtschaftswunder ließ den Bahnhof wie ein Phönix aus den Kriegszerstörungen in neuer Pracht erscheinen. Sogar mit einem luxuriösen Kino konnte er protzen. Das „Bali“ war ein Tempel behaglicher Unterhaltung mit noblen Logen und rotlivrierten Pagen.


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Zeugnis des Wirtschaftswunders: Das wunderschöne Mosaikfenster von 1950 zeigt die „5 Säulen“ der Gelsenkirchener Industrie:
Chemie, Glas, Kohle, Stahl+Eisen und Bekleidung.
Damals grüßte es Reisende bei der Ankunft in der Bahnhofshalle. Heute schmückt es den Eingang zur Bahnhofsstraße als Erinnerung an den Glanz vergangener Tage.
[Foto: Dieter Grundmann]

Nach 78 Jahren fiel der schöne, alte Bahnhof 1982 der modernen Stadtplanung zum Opfer. Er wurde von vielen Bürger*innen nachgetrauert. Das wunderschöne Buntglasfenster konnte vor dem Abrisshammer gerettet werden und schmückt bis heute noch das ehemalige Boeckerhaus als Erinnerung an den Glanz vergangener Tage. Einzelne Baufragmente wurden in das neue Bahnhofsgebäude integriert.


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Das Herzschild des königlich preußischen Wappens, ein Relikt vom alten Bahnhofsgebäude aus 1904, schmückt den Südeingang des heutigen Hauptbahnhofs.
[Foto: Philip Ralph]